Autorin: Brigitte Calenge
Seit einigen Jahren werde ich immer wieder von verschiedenen Seiten gefragt, ob ich nicht ein Buch über meine Methoden als Sprachtrainerin schreiben möchte. Ein Buch zu schreiben reizt mich nicht – aber durch diese Anfragen keimte der Wunsch in mir auf, eine Ausbildung anzubieten, in der ich meine in 30 Jahren als Sprachtrainerin gesammelten Erfahrungen persönlich weitergeben könnte.
Ich begann über mögliche Inhalte und Ziele einer solchen Ausbildung zu reflektieren und ließ meinen eigenen Werdegang Revue passieren. Die Idee einer mehrmonatigen Ausbildung gefiel mir dabei immer besser, da mir klar wurde, dass meine Arbeit der letzten 26 Jahre eine Schnittfläche verschiedener pädagogischer und sprachdidaktischer Methoden und Ansätze darstellt und ich diese auf meinem Weg im Laufe der Jahre zu einer eigenen Form zusammengeführt habe, der vor allem stark von der Sprachpsychodramaturgischen Ansatz geprägt war.
Im Folgenden möchte ich kurz von diesem Weg erzählen.
Wie alles begann…
Nach meinem Abitur in Besançon kam ich 1979 als Au-Pair Mädchen nach München. Ein Jahr später schrieb ich mich an der Universität für Englisch und Italienisch ein.
Noch während des Studiums erteilte ich meine ersten Stunden Französisch-Unterricht. Schnell entdeckte ich, dass das Unterrichten mir Spaß machte. Der Besuch von Fortbildungsseminaren für Sprachdozenten/innen an der VHS München gab mir nach dem anfänglichen Sprung ins kalte Wasser das notwendige Werkzeug für den Beginn als professionelle Sprachlehrende. Nachdem ich einige Jahre Erfahrung in der Tätigkeit angesammelt hatte, beschloss ich im Jahr 1987, mich als Sprachtrainerin für Französisch selbstständig zu machen.
Der Tisch als Sprachbarriere
Schon in meinen ersten Kursen 1987 an der Volkshochschule München gestaltete ich die Unterrichtsräume um: Die Tische schob ich an die Seite, ein Stuhlkreis war die Regel. Die Tische wurden ab und zu im Laufe der Stunde benützt, waren jedoch nicht zwischen mir und den Teilnehmer/innen. Warum diese Entscheidung?
Beim Unterrichten war mir aufgefallen, dass das Sitzen an einem Tisch die Teilnehmer/innen dazu verführte, sich mehr mit ihren Büchern, Heften, Wörterbüchern und Notizen zu beschäftigen als mit den anderen Lernenden zu kommunizieren. Sie richteten ihren Fokus auf das, was vor ihnen lag. Es wurde viel gelesen und geschrieben, das Sprechen kam – zur Frustration Teilnehmer/innen und meiner eigenen – entschieden zu kurz.
Es war aber offensichtlich, dass die meisten Teilnehmer/innen vor allem lernen wollten zu sprechen, also in der Fremdsprache möglichst leicht und ohne Hemmungen zu kommunizieren – eine Herausforderung, auf die ich zum damaligen Zeitpunkt noch keine zufriedenstellende Antwort bieten konnte.
Am Ende der Stunde bat ich die Gruppe, den Raum wieder so zu arrangieren, wie ich ihn am Anfang der Stunde vorgefunden hatte. Da dies gut funktionierte, hatte sich das Umräumen der Klassenräume in meinen Kursen schnell erfolgreich eingespielt.
Fragen über meine Unterrichtsmethoden tauchen auf
Ich hatte also meinen Stuhlkreis, und ab und zu saßen die Teilnehmer/innen in Kleingruppen an Tischen – aber ich stellte fest, dass mein Unterricht dennoch nicht wirklich spannend und abwechslungsreich war. Ich fühlte mich von den vorgegebenen Themen diverser Lehrbücher und deren Reihenfolge eingeengt. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass meine Teilnehmer/innen eher die Inhalte des Lehrbuchs als die Fremdsprache lernten. Außerdem wurden sie durch das viele Sitzen leicht und oft müde. Viele Fragen tauchten in mir auf:
- Wie könnte ich den Unterricht lebendiger gestalten?
- Wie könnte ich die natürliche Lernfreude meiner Teilnehmer/innen fördern?
- Welche Aktivitäten würden alle Sinne ansprechen, und nicht nur die Augen?
Mit diesen Fragen war ich bereits mitten in der Suche nach neuen und alternativen Wegen, meinen Unterricht zu gestalten.
Die Suggestopädie… Leben im Unterrichtsraum!
Die Wende kam für mich durch die suggestopädische Lehr- und Lernmethode. Ende 1987 erzählte mir eine Kollegin von der Ausbildung zur Suggestopädin. Nach unserer Unterhaltung war mir klar: Dort muss die Antwort auf meine vielen Fragen liegen!
Die Ausbildung zur Suggestopädin, die ich 1988 absolvierte, veränderte einerseits meine Unterrichtsform, andererseits bestärkte sie mich auf dem von mir bereits eingeschlagenen Weg.
Die suggestopädische Lehr- und Lernmethode eignete sich vor allem für Intensivkurse. So fing ich an, Wochenendkurse durchzuführen und Sprachurlaube anzubieten. Mir gefiel die Tatsache sehr, dass die Teilnehmer/innen so über mehrere Stunden und Tage in die Sprache eintauchen konnten. Dieser Rahmen brachte im Vergleich zu Extensivkursen über mehrere Wochen oder Monate hinweg auch meistens bessere Lernergebnisse.
Die Lehrerin steht im Zentrum des Unterrichts und damit allen im Wege…
Ich wusste schon in dieser Zeit, dass ich mich später einmal auch mit der Methode der Sprachpsychodramaturgie (Psychodramaturgie Linguistique – PDL), mit der ich 1989 als Teilnehmerin eines Italienischkurses erstmals in Berührung gekommen war, auseinandersetzen und die PDL-Ausbildung machen wollte. Dies war zunächst aber ein eher fernes Zukunftsprojekt. Fürs Erste war einmal das intensive Ausleben meiner suggestopädischen Ader angesagt.
Als frischgebackene Suggestopädin wollte ich die Welt der Suggestopädie „erobern“ und das gerade Erlernte in meinen Kursen so intensiv und kreativ wie möglich umsetzen und tat dies auch mehrere Jahre lang mit viel Freude und schönen Erfolgen. Ich war glücklich darüber, wie gut die zahlreichen, abwechslungsreichen und vor allem spielerischen suggestopädischen Aktivitäten zu meiner Persönlichkeit passten. Ich konnte meine Liebe zum Basteln voll auskosten und es war für mich ein großer Genuss, dass meine Kreativität einen beruflich so nützlichen Kanal gefunden hatte.
Nach etlichen Jahren, in denen ich mich als Pädagogin in der Welt der Suggestopädie zu Hause gefühlt hatte, kam eine gewisse Müdigkeit auf. Ich war außerdem der „Materialschlacht“ in der Suggestopädie überdrüssig: ich schleppte in jeden Kurs Unmengen Material (Kärtchen, Plakate, Stifte…) mit. Was war los?
Die abwechslungsreichen und vor allem spielerischen Aktivitäten in meinem Unterricht machten mir und den Teilnehmern/innen Spaß. Wir lachten viel, und die Teilnehmer/innen liebten meine Lernromane* und lobten die „andere Art“ des Lernens, mit der ich sie in Berührung brachte und die viele von ihnen nach oft negativen Schulerfahrungen neue Fähigkeiten und eine ganz neue Freude am (Sprachen-)Lernen entdecken ließ. Sie fanden den in der Suggestopädie üblichen Identitätswechsel am Anfang des Kurses sehr hilfreich, um aus dem Alltag zu treten und als „neue“ Person Neues zu wagen, und sie verloren lange mitgeschleppte Sprechhemmungen.
In der Suggestopädie wurde Kreativität großgeschrieben und dies war für mich im Unterrichten auch deutlich spürbar. Eigentlich war alles perfekt… und doch kroch langsam die unbequeme Frage in mir hoch, wer im Unterricht eigentlich kreativ sei. Mehr und mehr hatte ich den Eindruck, dass in erster Linie ich diejenige war, die ihre Kreativität auslebte, und weniger die Teilnehmer/innen. In der berühmten Transferphase des Unterrichts, wenn es darum ging, dass die Lernenden das Erlernte „frei“ anwenden sollten, waren die Ergebnisse nicht immer prickelnd.
Die wichtigste Erkenntnis, die mir in dieser Phase des Zweifelns an meiner eigenen Unterrichtspraxis kam, war, dass ich als Lehrkraft (zu) sehr im Mittelpunkt stand. Ich kam mir immer mehr vor wie eine Animatrice im Club Med. Der Kurs stand und fiel mit meinem unermüdlichen, fröhlichen und vor allem motivierenden Einsatz. Ich hatte sogar manchmal den Eindruck, manche eher zurückhaltende Teilnehmer/innen mit meiner unübersehbaren Präsenz zu ersticken. In jedem Fall waren ihre Kreativität und ihr Einsatz von meinem abhängig. Das gefiel mir nicht. Ich war der Unterhalterinnenrolle überdrüssig geworden. Was nun?
Auf zu neuen Ufern
Zu diesem Zeitpunkt erinnerte ich mich an den anderen Ansatz im Fremdsprachenlernen, mit dem ich kurz nach meiner Suggestopädie-Ausbildung in Berührung gekommen war: die Sprachpsychodramaturgie. Eine Kollegin hatte mir damals vorgeschlagen, gemeinsam mit ihr einen Italienischkurs über zwei Wochenenden in der VHS Bad Homburg zu besuchen und ich hatte zugesagt.
Ich begann, mir der starken Spuren bewusst zu werden, die diese Erfahrung damals in mir hinterlassen hatte: Nicht nur, dass ich während des Kurses meine drei Jahre Schulitalienisch aufgefrischt hatte und am Ende relativ gut sprechen konnte – da war auch diese „authentischere“ Farbe, die dieser Ansatz, bei dem vom Ausdruckswunsch der Teilnehmer/innen ausgegangen wurde, dem Unterricht gab. Ich wurde mir darüber klar, dass bei dieser Methode die Teilnehmer/innen im Mittelpunkt standen und nicht die Lehrkraft oder der berühmte Lernroman* aus der Suggestopädie. Und genau das wollte ich!
1995 absolvierte ich dann meine PDL-Ausbildung bei Marie Dufeu. Danach leitete ich meine ersten PDL-Französisch-Sprachkurse zusammen mit Martine Bordes, Maries damaliger Ausbildungsassistentin. Dies war ein großer Glücksfall in meiner pädagogischen Entwicklung: Martine hatte bereits die Praxiserfahrung, die mir noch fehlte, und erwies sich als wunderbare und großzügige Mentorin. So lernte ich sehr viel von ihr und bin ihr dafür noch heute sehr dankbar.
2000 wiederholte ich die Ausbildung, diesmal mit Bernard Dufeu, dem Entwickler der Methode, den ich zwar flüchtig kannte, aber gerne selbst als Ausbildner erleben wollte. 2001 war ich gemeinsam mit ihm Co-Leiterin der nächsten Ausbildung.
Kurswechsel: Die Teilnehmer/innen geben den Ton an….
Was genau ist es, das die Sprachpsychodramaturgie so anders macht?
In der PDL ist jede/r Teilnehmer/in Architekt/in seiner/ihrer Sprache. Das ihm oder ihr fehlende Wortmaterial wird von der Sprachtrainerin bzw. von den anderen Teilnehmern und Teilnehmerinnen zur Verfügung gestellt.
Die im Kurs verwendete und aufgenommene Sprache entwickelt sich aus dem Ausdruckswunsch der Teilnehmer/innen. Die Sprachtrainerin bietet lediglich die Rahmenaktivitäten an.
Die Sprachpsychodramaturgie wird von Bernard und Marie Dufeu seit 1977 speziell für den Sprachunterricht mit Erwachsenen beständig weiterentwickelt. Bernard und Marie dazu:
„Die PDL ist Teil einer ‚Pädagogik des Seins‘, die die Teilnehmer/innen als Individuen ins Zentrum des Erwerbsprozesses stellt. Sie unterscheidet sich von einer ‚Pädagogik des Habens‘, die auf das Vermitteln von Inhalten und auf Ziele gerichtet ist, die in Abwesenheit der Gruppe festgelegt werden. In der PDL wird das Leben der Gruppe in der Zusammensetzung der Übungen und in der Auswahl der Themen einbezogen. Die Teilnehmer/innen erleben die Fremdsprache, indem sie miteinander kommunizieren, und erwerben sie dadurch unmittelbar.“
Die Sprachpsychodramaturgie geht neue Wege in der Fremdsprachenvermittlung. Sie setzt konsequent den kommunikativen Ansatz um, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht – nicht das Lehrbuch oder ein vorgefertigtes Programm. Die Methode schafft einen Rahmen, der das Ausdrücken der eigenen Gedanken, Meinungen, Gefühle erleichtert und lebendige Kommunikation ermöglicht. Über den individuellen Kontakt zur Sprache und die Interaktion mit der Sprachtrainerin und anderen Teilnehmern erlebt der bzw. die Einzelne die Sprache als Mittel zur Begegnung.
Die Sprachtrainerin tritt in den Hintergrund. Sie wird zur Begleiterin der Teilnehmer auf ihrer individuellen Entdeckungsreise in der neuen Sprache. Dadurch nehmen diese mehr Raum ein – und haben die Gelegenheit, so kreativ zu werden, wie ich es mir in meinen früheren suggestopädischen Kursen nur erträumen konnte!
Das Abenteuer einer Synthese: Wenn unterschiedliche Ansätze zusammenkommen…
Als ich in den 90er Jahren in meinen Sprachkursen hauptsächlich suggestopädisch arbeitete, sowohl in Extensiv- als auch in Intensivkursen, machte ich die Erfahrung, dass das Beherrschen von Techniken und Verfahren zwar wichtig war, jedoch die Persönlichkeit der Trainerin, ihre Ausstrahlung, ihre Einstellung zum Lernen und ihre Form des Umgangs mit den Teilnehmern/innen einen weitaus wichtigere Rolle für den guten Verlauf eines Kurses spielten.
Damals war meine wichtigste Antriebskraft meine innere Einstellung zum Lernen und Lehren im Allgemeinen und der aufrichtige Wunsch, Wege zu finden, wie ich die Lust zu lernen bei den Teilnehmern/innen wecken und aufrecht erhalten könnte. Ich benutzte damals lediglich die suggestopädischen Mittel, die mir zur Verfügung standen, um meine Ziele zu erreichen. In Kolleginnenkreisen hörte ich damals öfters Sätze wie: „In Firmen kann ich keinen suggestopädischen Unterricht machen“, oder: „In einem 90-minütigen Kurs kann man keine Suggestopädie machen.“
Im Gegensatz dazu machte ich die Erfahrung, dass es überall möglich war, „suggestopädisch“ zu arbeiten. Ich machte diese Art von Arbeit nicht von bestimmten Rahmenbedingungen abhängig. Der Geist der Suggestopädie konnte überall strahlen, denn er befand sich im Inneren der Trainerin, in ihrem Kopf, in ihrem Bauch und in ihrem Herzen. Die schönen Lernposter an den Wänden und der Blumenstrauß in der Kreismitte waren für mich schöne Beilagen, keine Hauptgerichte…
Als ich die PDL – Ausbildung absolviert hatte, hörte ich ebenfalls ab und zu seitens meiner Kolleginnen, dass sie mit der PDL nur unter bestimmten Rahmenbedingungen arbeiten konnten, nämlich in der Intensivform (mindestens ein Tag). Wieder war ich mit einer ähnlichen Situation konfrontiert wie bei der Suggestopädie: „Man kann mit der PDL nur in einem bestimmten Rahmen arbeiten.“ Ich empfand diese Einstellung als einengend und wollte mich damit nicht zufrieden geben.
Im Laufe der Jahre habe ich also Wege entwickelt, wie ich suggestopädische Elemente in einen von der PDL geprägten Unterricht einbauen kann, und zwar unabhängig von den Rahmenbedingungen (Kursdauer, Zielgruppe, Vorerfahrungen der Teilnehmer/innen, Gruppen – bzw. Einzelunterricht). Diesen „Basiszutaten“ habe ich allmählich viele andere Elemente hinzugefügt, u.a. aus der Relationellen Dramaturgie (Daniel Feldhendler), den von Martine Bordes entwickelten dramaturgischen Techniken, dem Playback-Theater (Jonathan Fox),Theatertechniken von Augusto Boal, dem von mir entwickelten Körperlernen sowie Elemente aus Weiterbildungs- und Selbsterfahrungsseminaren in den Bereichen Meditation, Entspannungstechniken, Körperarbeit und Arbeit mit Emotionen.
Der Gedanke, dieses Wissen und diese Erfahrungen weiterzugeben, hat während der letzten Jahre langsam Form an angenommen. 2010 war der Entschluss gefasst: Es sollte eine Ausbildung geben, die all diese Elemente in einem kongruenten Ganzen zusammenführen würde. In den Jahren 2012/2013, war es soweit: Die erste Vive Ausbildung fand statt!
In Oktober 2015 startet die zweite Vive Ausbildung in München!
Grundideen und Ziele der Vive Ausbildung
In der Vive Ausbildung sollen die Teilnehmer/innen Techniken und Verfahren kennen lernen, die es ihnen erlauben, einen Unterricht zu gestalten, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht, nicht ein Lehrbuch oder ein vorgefertigtes Programm. Ich zeige außerdem Wege auf, wie Grammatik und Wortschatz spielerisch und Sinn-voll vermittelt werden können. Vor allem aber wird die Aufmerksamkeit auf das Entwickeln der eigenen Trainerpersönlichkeit gerichtet, denn diese ist und bleibt der entscheidende Faktor in einem solchen Sprachunterricht.
„Man muss etwas Neues machen, um etwas Neues zu sehen.“ – Georg Christoph Lichtenberg
* Lernroman: So werden die von den Suggestopäden/Suggesopädinnen meist selbst geschriebenen, unterhaltsamen Geschichten genannt, die zur Zusammenfassung und Festigung der Inhalte einer Unterrichtseinheit dienen. Sie sind so konzipiert, dass die linke Spalte in der Fremdsprache geschrieben ist und die rechte die Übersetzung beinhaltet. Lernromane sollen abwechslungsreich und spannend sein und mehrere Sinneskanäle ansprechen. Sie bestehen hauptsächlich aus Dialogen.